Vergleich deutscher und amerikanischer Universitäten (2024)

Der gegenwärtige Umbau der deutschen Universitäten wird von vielen als Amerikanisierung betrachtet. Auf der einen Seite nachvollziehbar, betrachtet man die USA als führende Wissenschaftsnation der Welt, auf der anderen Seite überrascht der unter deutschen Intellektuellen zu beobachtende Antiamerikanismus. Doch wie sieht der tatsächliche Vergleich beider Wissenschaftssysteme aus - wo liegen Unterschiede und Gemeinsamkeiten?

Artikelinhalt

  • Hochschulen in USA und Deutschland: Überraschende Ähnlichkeiten und gewichtige Unterschiede
  • Peanuts: Deutsche Universitäten, von Amerika aus betrachtet

Hochschulen in USA und Deutschland: Überraschende Ähnlichkeiten und gewichtige Unterschiede

Die USA sind die führende Wissenschaftsnation der Welt, was nicht nur die jährliche Verteilung der Nobelpreise belegt. Auch die Spitzenhochschulen wie Harvard, Stanford oder Yale führen internationale Ranglisten an. Doch gibt es auch in den USA Durchschnittshochschulen, lange Studienzeiten und Studienabbrecher. Ein Blick hinter die Kulissen.

"Amerika, du hast es besser" - das ist der Refrain vieler hochschulpolitischen Diskussionen in Deutschland. Sicher haben die USA, nach welchen Rankings und Kriterien auch immer, viele der weltbesten Hochschulen. Unzweifelhaft steht das Land weiter im Mittelpunkt des internationalen Wissenschaftssystems. Da ist es kein Wunder, dass man bei uns, manchmal ängstlich, manchmal ehrgeizig nach "benchmarks" oder Vorbildern jenseits des Atlantik schaut. Wenn der Blick dabei nur auf Spitzenhochschulen wie Harvard, Stanford oder das MIT fällt, löst der Vergleich aber angesichts von deren überreichen Ressourcen eher Depressionen aus als Wetteifer. Wahrscheinlich können deutsche Hochschulen von guten staatlichen Universitäten in den USA mehr lernen.


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Kritisch oder begeistert beziehen sich viele Diskussionen bei uns auf ein "anglo-amerikanisches" Hochschulsystem, in dem sich wohl weder britische noch amerikanische Hochschulen wiedererkennen würden. Bei näherer Betrachtung gibt es zwischen den USA und Deutschland manche überraschenden Gemeinsamkeiten, aber auch gravierende Unterschiede, allgemein bekannte wie gern übersehen.

In den USA ist die Massenuniversität mit hoher Bildungsbeteiligung zwei bis drei Jahrzehnte älter als in Deutschland. Trotzdem sind auch dort eine Reihe der damit verbundenen Probleme nicht gelöst, ein Zeichen dafür, dass es Patentrezepte für bildungspolitische Herausforderungen wahrscheinlich nicht gibt. Die Regelstudienzeit wird hier wie dort um rund die Hälfte überschritten; etwa ein Drittel der Studienanfänger erreicht nie einen Studienabschluss. Nur 57,1 Prozent der Studenten, die 1999 ein Vollzeitstudium mit dem Ziel eines Bachelor-Abschlusses aufgenommen hatten, hatten diesen Abschluss sechs Jahre später erreicht; nach der Regelstudienzeit von vier Jahren sind es gerade ein gutes Drittel. An den gemeinnützigen Privathochschulen liegt die Graduierungsrate nach sechs Jahren mit 64 Prozent etwas höher als im Durchschnitt, im jüngeren "for profit"- Sektor dagegen mit 29 Prozent dramatisch niedriger als an den staatlichen Hochschulen (54 Prozent).

Die Studiendauer bis zu einem erfolgreichen Abschluss des nominell vierjährigen Bachelor-Studiums beträgt an öffentlichen Hochschulen im Median 6,2 Jahre, an privaten 5,3 Jahre. An absoluten Spitzenhochschulen wie Princeton oder Harvard sind über 95 Prozent der Studenten in sechs Jahren fertig, aber schon in Berkeley oder UCLA sinkt der Prozentsatz unter 90 Prozent; ab Rangplatz 60 werden 75 Prozent kaum je übertroffen.

Die Dauer des Promotionsstudiums, das in USA meist ohne vorhergehendes Masterstudium aufgenommen wird, beträgt durchschnittlich 7,5 Jahre; das Durchschnittsalter der Absolventen liegt mit 33,3 Jahren etwas höher als in Deutschland (32,8 Jahre). Zehn Jahre nach Beginn des Promotionsstudiums haben in USA 56,6 Prozent der Kandidaten tatsächlich einen PhD erworben.

In Deutschland wie in den USA haben Kinder aus wohlhabenden und gebildeten Familien bessere Chancen beim Hochschulzugang, doch ist die Überrepräsentanz von Akademikerkindern in Deutschland noch höher: Bei den USA sind sie um 76 Prozent stärker vertreten, als dem Akademikeranteil in der Vätergeneration entsprechen würde, bei uns sogar um 131 Prozent.

In den USA kommt der Bund für einen größeren Anteil auf, weil sich die Einzelstaaten die nationalen Forschungsorganisationen nicht mitfinanzieren.

Deutschland und USA geben zwischen 2,5 Prozent und 2,7 Prozent ihres Bruttoinlandsprodukts für Forschung und Entwicklung (FuE) aus. Auch der Forschungsoutput der beiden Wissenschaftssysteme (einschließlich der in Deutschland viel gewichtigeren außeruniversitären öffentlichen Forschungsinstitute) ist einigermaßen proportional: die deutsche Forschung produzierte 2005 8,4 Prozent der im Science Citation Index erfassten Publikationen, die USA kamen mit viereinhalb mal soviel FuE-Ausgaben für 30,8 Prozent der SCI-Einträge auf.

Auch die "Betreuungsrelation", also das Verhältnis von Studenten und wissenschaftlichem Personal ist ähnlich: An deutschen Hochschulen kommen laut OECD-Statistik auf einen Wissenschaftler gut 12 Studenten, in USA knapp 16.

Aber ein erster großer struktureller Unterschied ist nur einen kleinen Schritt entfernt: die Personalstruktur. Knapp die Hälfte des wissenschaftlichen Personals an US-Hochschulen sind Professoren, davon etwa ein Drittel Assistant Professors, die noch keine Dauerstelle haben, meist aber auf einem "tenure track" sind, an dessen Ende bei positiver Evaluation die Festeinstellung steht. In Deutschland sind dagegen nicht einmal ein Viertel der Wissenschaftler an Hochschulen Professoren, und deutsche Nachwuchswissenschaftler sind in einem Lebensalter, in dem ihre amerikanischen Kollegen bereits die erste (Assistant) Professur bekleiden, in der Regel Assistenten mit befristeten Arbeitsverträgen - und wenig oder keiner Lehrverpflichtung.

Andererseits entfällt in den amerikanischen Hochschulen ein großer Teil der Lehre auf Teilzeitkräfte, die wenig Chancen haben, auf eine feste Dauerstelle zu gelangen: Insgesamt ist der Anteil dieser Teilzeitkräfte in den letzten 20 Jahren von einem Drittel auf fast die Hälfte gestiegen.

An den Forschungsuniversitäten beträgt er aber nur ein Viertel; dafür tragen dort Doktoranden als "teaching assistants" einen erheblichen Teil der Lehre. Während an den Forschungsuniversitäten nur ein gutes Viertel der Studenten eingeschrieben ist, arbeitet dort fast die Hälfte des wissenschaftlichen Vollzeitpersonals. Insgesamt beträgt in diesem Sektor, der am ehesten mit den deutschen Universitäten zu vergleichen ist, das Verhältnis von wissenschaftlichem Personal zu Studierenden 1 zu 13 (an deutschen Unis 1 zu 10). Die im Vergleich überraschend gute statistische "Betreuungsrelation" an deutschen Universitäten ergibt sich zu einem Gutteil daraus, dass viele wissenschaftliche Mitarbeiter mitgezählt werden, die nicht (selbständig) lehren.

Ein weiterer grundlegender Unterschied betrifft das Verhältnis von Hochschulen und Beschäftigungssystem. Etwa die Hälfte des Undergraduate-Studiums entfällt auf allgemeinbildende Lehrveranstaltungen, die keinen unmittelbaren Bezug zum Hauptfach ("major") haben. Die relativ schwache Spezialisierung im Erststudium wird in der Regel auch nicht durch anschließende Aufbaustudien kompensiert. Vielmehr geht die weit überwiegende Zahl der Bachelor-Absolventen in den Beruf, und nur eine Minderheit kehrt an die Hochschule zurück, um einen höheren Grad zu erwerben. Von den Bachelor- Absolventen des Jahrgangs 1992/93 hatten zehn Jahre später nur 26 Prozent einen weiteren akademischen Grad erworben, meist einen Master (20 Prozent) oder einen "first-professional degree" in Fächern wie Jura oder Medizin, die in Nordamerika nicht als Undergraduate- Studiengänge angeboten werden. Die Vervollständigung der Berufsqualifizierung fällt damit in einem viel größeren Maße als in Deutschland den Unternehmen und Institutionen zu, in denen die Absolventen arbeiten.

Während in Deutschland für viele Berufe außerhalb des Hochschulsystems ausgebildet wird, erfüllen in den USA diese Aufgabe zweijährige Studiengänge an Community Colleges. Diese machen knapp 40 Prozent des amerikanischen Hochschulsystems aus. Nur etwa ein Drittel von deren Studenten erwirbt je einen "Associate"-Grad, die meisten streben in praktische Berufe.

Insgesamt ist das amerikanische Hochschulsystem ausdifferenzierter als das deutsche, wo der Großteil der Studenten an zwei Hochschularten - Universitäten und Fachhochschulen - eingeschrieben ist. Die gängige Carnegie-Klassifizierung unterscheidet sechs "Basis"-Kategorien, die wiederum nach Größe, fachlicher Breite und studentischer Klientel untergliedert sind. Auf die 282 Forschungsuniversitäten, zu denen die in Deutschland bekanntesten Hochschulen gehören (und viele, von denen noch kaum jemand gehört hat), entfallen 4,9 Millionen Studenten, 28 Prozent der Gesamtzahl. Die gängigen Rankings, vor allem von "U.S. News & World Report", beziehen sich auf jeweils einzelne Hochschultypen, z.B. nationale (Forschungs-) Universitäten, Undergraduate Colleges, Master-Universitäten mit regionaler Ausstrahlung usw. Dabei sind die führenden Colleges nach Maßstäben wie den Testergebnissen ihrer Studienanfänger oder den Studienabschlüssen in der Regelstudienzeit genauso gut wie die angesehensten Forschungsuniversitäten. Die Reputation der Hochschulen und die Berufsaussichten der Absolventen hängen also mindestens ebenso stark vom relativen Platz innerhalb einer Kategorie wie von der Zugehörigkeit zu einem bestimmten Institutionstyp ab.

Die Bedeutung privater Hochschulen gehört zu den auffälligsten Unterschieden zwischen den beiden Systemen. Dabei entfallen aber auch in USA 74 Prozent der Studenten auf staatliche Hochschulen (selbst wenn man die fast durchweg öffentlichen Community Colleges abzieht, sind es noch 62 Prozent). Da die staatlichen Universitäten für "Landeskinder" stark ermäßigte Gebühren erheben (und zum Ausgleich dafür von den Steuerzahlern des Einzelstaates subventioniert werden), sind sie für Studenten aus einkommensschwachen Familien leichter zugänglich.

Freilich sind in der Spitzengruppe auch die öffentlichen Universitäten so selektiv, dass Studenten aus ärmeren Familien stark unterrepräsentiert sind. Ein Maßstab dafür ist der Anteil der Studenten mit Pell-Stipendien aus Bundesmitteln. Landesweit liegt der Anteil dieser Studenten, deren Eltern meist unter 35 000 Dollar verdienen, bei 29 Prozent. Von den 30 Spitzenuniversitäten liegen nur die Campi der University of California in Los Angeles und Berkeley mit 37 Prozent bzw. 31 Prozent über dem Durchschnitt, wohl wegen des hohen Anteils von Studenten aus armen, aber bildungsbeflissenen Familien asiatischer Herkunft. Dagegen kommen sowohl private Eliteuniversitäten wie Harvard, Stanford oder das MIT als auch ihre staatlichen Wettbewerber wie Michigan, Wisconsin und Georgia Tech nur auf Anteile zwischen 11 Prozent und 14 Prozent.

Der frappierendste (und vielleicht am schwersten aufzuholende) Unterschied zwischen deutschen und amerikanischen Hochschulen ist wohl die finanzielle Ausstattung. 2005 verfügten öffentliche Hochschulen mit vierjährigen Studiengängen (also ohne Community Colleges) über 26.000 Dollar pro Student, private sogar über 38.000 Dollar (jeweils ohne Einnahmen aus der Krankenversorgung). Deutschen Hochschulen standen im selben Jahr knapp 11.000 Euro pro Student zur Verfügung, nach Kaufkraftparitäten entspricht das etwa 12.000 Dollar. Ein Großteil des Unterschieds in der Ressourcenausstattung entfällt auf Studiengebühren, Spenden und Einnahmen aus (früherer gespendetem) Vermögen: Allein aus Studiengebühren nahmen öffentliche US-Hochschulen 2005 durchschnittlich 4.600 Dollar pro Student ein, private 12.000 Dollar.

Bei der Leitungsstruktur scheinen sich die deutschen Hochschulen jetzt dem amerikanischen Modell zu nähern: Die Universitätspräsidenten werden in den USA nicht von den Hochschulmitgliedern, sondern von einem externen Hochschulrat ernannt, dessen Mitglieder an öffentlichen Universitäten von der Staatsregierung berufen werden. An privaten Hochschulen werden sie meist aus den Reihen der Alumni und Spender gewonnen.

Und auch in den USA ist der Einfluss von Regierungen und Spendern mit der Ernennung des Unipräsidenten nicht zu Ende. Eben hat der Kongress ein neues Hochschulgesetz beschlossen, das nicht weniger als 1 150 Seiten umfasst. Freilich: Diese Regulierungswut berührt kaum den Kern der akademischen Autonomie: bei den wirklich wichtigen Entscheidungen über akademisches Profil, Berufungen und Studiengänge haben die Hochschulen weitgehende Freiheit.

Dieser Artikel beruht auf dem Bericht 2007 der DAAD-Außenstelle New York, zuerst veröffentlicht in: DAAD (Hrsg.): Berichte der Außenstellen 2007. Bonn 2008, S. 78 bis 102

Aus Forschung & Lehre :: September 2008

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Peanuts: Deutsche Universitäten, von Amerika aus betrachtet

VON JEFFREY HAMBURGER

Der gegenwärtige Umbau der deutschen Universitäten wird von vielen als Amerikanisierung betrachtet. Das mag dem US-Amerikaner schmeicheln, es überrascht aber auch angesichts des weitverbreiteten Antiamerikanismus, der, zumindest auf den ersten Blick, unter vielen deutschen Intellektuellen vorzuherrschen scheint.

Die deutschen Universitäten sind bestenfalls an der Oberfläche amerikanisiert. Die Feststellung, dass ihnen vor allem ein unverzichtbares Element - das Geld - fehlt, wäre indes zu einfach. Die lauthals propagierte Exzellenzinitiative, die in den letzten Jahren die Tatkraft zahlloser deutscher Universitätsangehöriger in Anspruch genommen und eine Unzahl von Arbeitsstunden verbraucht hat, die produktiver in Forschung und Lehre hätten investiert werden können, diese Initiative könnte man wohl nur als ein Mittel betrachten, einige wenige Universitäten auf Kosten vieler anderer etwas aufzupeppen. Der ökonomische Kahlschlag, dem die Universitäten unterzogen waren, wird kunstvoll unter dem schmucken Kostüm einer Reform versteckt.

Trotz des enormen Wirbels und der geradezu verrückt anmutenden Katzbalgereien, die der Verleihung des Elitestatus an eine Handvoll von Einrichtungen vorangingen: Nur das Geld zählt. Zweifellos sind die ausgeteilten 1,9 Milliarden Euro erstmal eine eindrucksvolle Summe. Im größeren Rahmen betrachtet indes ist ein solcher Betrag, um einen gängigen Ausdruck zu benutzen, Peanuts.

Natürlich wurden und werden einige dieser Gelder sinnvoll ausgegeben. Der Wettstreit um Forschungsmittel ist an sich schon eine gesunde Angelegenheit. Ob ein solch zentralisierter Wettbewerb jedoch wirklich zukunftsweisend sein kann, das ist eine völlig andere Frage. Wie sinnvoll mag eine Investition in Projekte sein, die manchmal kaum mehr darstellen als eine Wundertüte privater Professoren-Steckenpferde, wenn zugleich allerorten die Haushalte für Langzeitprioritäten wie etwa Bibliotheken und Mitarbeiter drastisch zusammengekürzt werden? Deutschland investiert im Vergleich mit anderen Industrienationen noch immer einen viel zu geringen prozentualen Anteil seines Bruttosozialprodukts in Bildung. Gemäß der jüngsten verfügbaren Statistik der Organization for Economic Co- Operation and Development (2004) geben die USA etwa 4,1 Prozent ihres Bruttosozialprodukts für Bildung auf allen Ebenen aus. Im Gegensatz dazu belaufen sich die deutschen Bildungsausgaben auf 3,5 Prozent.

Die Schweiz liegt bei 4,5 Prozent, Ungarn bei 3,5 Prozent. Aussagekräftiger ist aber, dass für die höhere, die akademische Bildung in den USA 2,9 Prozent des Sozialprodukts ausgegeben werden - in Deutschland beläuft sich diese Zahl auf 1,1 Prozent, genauso viel wie in der Slovakei und Griechenland. Kein Wunder, dass die deutschen Universitäten leiden.

Die Verleihung des Elitestatus bringt einer glücklichen Universität, die davon betroffen ist, 20 bis 80 Millionen Euro. Sicher zunächst keine "schäbige" Summe, über die man sich lustig machen darf. Aber wenn man bedenkt, dass dieses Geld über den langen Zeitraum von fünf Jahren hinweg an zahlreiche Institute verteilt wird, erscheint der Betrag sehr schnell nicht mehr gar so bedeutsam. Harvard verfügt inzwischen über 35 Milliarden Dollar. Allein im Jahr 2007 erhielt die Universität 615 Millionen Dollar durch Stiftungen von Freunden und Alumni.

Allein in diesem Jahr gab Harvard 596 Millionen Dollar für Investitionen und nochmals 340 Millionen an finanzieller Unterstützung für Studenten aus, dazu kamen 61 Millionen für studentische Jobs und 30 Millionen Darlehen für Studierende. In den vergangenen zehn Jahren hat die Universität fast 100 neue Fakultätsmitglieder angestellt.

Aber natürlich sind solche Vergleiche überflüssig. Wo auch immer das Modell Eliteuniversität diskutiert wird, erklingt die unvermeidbare Litanei von Harvard, Yale und Princeton. Angemessener wäre es aber, den Standard deutscher öffentlicher Universitäten eher mit den besten öffentlichen Universitäten der USA zu vergleichen, etwa mit der University of California in Berkeley, der UCLA, der Indiana University (Bloomington) und Texas (Austin). Diese Einrichtungen werden großteils durch Steuergelder finanziert, und sie sind alle, von welcher Seite man es auch betrachtet, Exzellenz-Zentren, ausgestattet mit Scharen von Lehrkräften, riesigen Bibliotheken und führenden Programmen für die fortgeschrittenen und natürlich auch für die "exzellenten" Studierenden.

Aber öffentliche Universitäten in den USA profitieren auch von einer Kultur der Philanthropie, die in dieser Form in Deutschland nicht existiert. Die staatliche University of Michigan in Ann Arbor hat von 2004 bis 2007 nicht weniger als 2,5 Milliarden Dollar aus privaten Quellen eingenommen, einschließlich einer Summe von mehr als 300 Millionen Dollar von über 120 000 Einzelpersonen allein in 2007. Es ist nicht so, dass die Deutschen nicht großzügig wären; die Öffentlichkeit reagiert im allgemeinen sehr regelmäßig auf diesen oder jenen Spendenaufruf. Das Hauptproblem liegt darin, dass das Steuersystem nicht so gestaltet ist, dass Philanthropie und Spendenfreudigkeit, die sich auf Institutionen der höheren Bildung richten würden, belohnt und angemessen gewürdigt werden.

Ein weiterer relevanter Punkt dürfte vor dem Hintergrund des deutschen Diskurses zu diesem Thema befremdlich erscheinen. Was in den USA eine Eliteuniversität elitär macht, ist nicht ihre finanzielle Stellung oder das Forschungsprofil ihrer Mitglieder, sondern ganz einfach die Qualität ihrer Studierenden. Das ganze System der staatlichen wie privaten Einrichtungen freilich fußt auf Zulassungsprozeduren, die auf der Basis von Eignung und Befähigung eine strenge Auswahl treffen - nicht aber, wie es oft vereinfachend heißt, auf der Basis der Zahlungsfähigkeit: Viele Studenten erhalten von der Universität volle finanzielle Unterstützung und viele andere erhebliche Kredite und Stipendien. Auch an öffentlichen Einrichtungen können die Studiengebühren wesentlich höher ausfallen als die jetzt vielerorts in Deutschland erhobenen. Die Ansicht, öffentliche Erziehung gäbe es "umsonst", ist illusorisch. Labore und Bibliotheken fallen nicht vom Himmel, und auf einem gewissen Niveau bekommt man eben das, wofür man zu zahlen bereit ist.

Vielleicht gehen alle solche Vergleiche am Ziel vorbei. Man sollte in Deutschland zur Kenntnis nehmen, dass das hiesige Universitätssystem eben einfach anders ist, und dass man diese Unterschiede nicht leichtfertig liquidieren darf. Welch eine Ironie, wenn Deutschland im Drang nach Amerikanisierung seines Hochschulwesens genau die Charakteristika seines Systems aufgäbe, die die amerikanischen Universitäten im 19. Jahrhundert nachzueifern suchten. Die deutschen Universitäten führen neue Bachelor- und Masterprogramme ein, doch diese haben kaum eine Ähnlichkeit mit ihren sogenannten Namensvettern in den USA. Es fehlt die Freiheit, die es den Studenten gestattet, den eigenen Studienverlauf selbst zu bestimmen.

Natürlich gibt es auch rein praktische Probleme. Gemeinsam mit dem Drang, einige wenige Institutionen zur "Elite" zu erklären, erklang der Ruf, die Lehre von der Forschung zu trennen. Eine solche Trennung wäre nicht weniger als ein Desaster. Schon jetzt herrscht an deutschen Universitäten eine tiefe Abneigung und Desillusionierung. Alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, auch die Juniorprofessoren, brauchen und verdienen mindestens ein paar Möglichkeiten, sich ganz und gar mit ihren Forschungsaufgaben beschäftigen zu können und sich in dieser Zeit nicht um die Belange des Hörsaals kümmern zu müssen. Aber es gibt kaum einen Ort, an dem nicht der Kontakt mit Studierenden und jüngeren Kollegen das konzeptionelle Überdenken komplexer Forschungsprobleme erheblich fördern würde. Forschung ohne Kontakt zu den Herausforderungen des Hörsaals versteinert. Forschungsbasierte Lehre bleibt dagegen die beste Vorsorge gegen akademischen Solipsismus und ist überdies der geeignete Weg, hochspezialisierten Fächern das Überleben zu sichern. Zur Zeit sieht eine Reihe akademischer Spezialgebiete, in denen Deutschland einstmals führend war, zumindest in den Geisteswissenschaften einem langsamen, aber sicheren Aussterben entgegen.

Ein derzeit viel propagiertes Konzept, dessen Bezeichnung wohl auch aus dem amerikanischen Wörterbuch stammt, ist das "Sponsoring". Aber dieses Wort hört man auf keinem amerikanischen Campus, und wenn doch, dann höchstens in Verbindung mit dem Sport (auch dies ein Skandal, aber das steht auf einem anderen Blatt). Der Begriff riecht nach Reklame und nach kommerzieller Unterstützung von Athleten - eigentlich ganz passend, wenn man den Wettlauf um die Drittmittel betrachtet, der heutzutage den Alltag der meisten deutschen Akademiker zu bestimmen scheint. Zuwendungen dieser Art sind enorm wichtig, natürlich auch in den USA, dort aber vor allem in den Naturwissenschaften. Auch hier gibt es wichtige Unterschiede zwischen unseren beiden Systemen. Amerikanische Universitäten stützten sich schon immer auf Studiengebühren und auf die Grundausstattung, um ihre fortgeschrittenen Studenten zu unterstützen. Während Naturwissenschaftler im Team arbeiten, forschen geisteswissenschaftliche Doktoranden meist allein. Im Gegensatz dazu wird der Nachwuchs in Deutschland in großen Sonderforschungsbereichen and Graduiertenkollegs zusammengetrieben. Im Idealfall leiten diese Gruppierungen an zur Interdisziplinarität. Außerdem sind sie natürlich eine wichtige Quelle für Stipendien. Die unerbittliche Hetzjagd nach Drittmitteln aber bedroht die Unabhängigkeit solcher Projekte, besonders wenn das Sirenenheulen der akademischen Moden erklingt, die wirkliche Innovation hervorbringen, aber auch zu einer Verminderung der intellektuellen Differenziertheit führen können. Niemals werde ich die Ansprache eines Dekans einer prominenten deutschen Universität aus Anlass der Eröffnung eines Sonderforschungsbereichs vergessen, der meinte erklären zu müssen: "Das Zeitalter des Einzelforschers ist vorbei!" Ich war versucht, auszurufen: "Bei mir nicht!"

Um solche Unternehmungen am Laufen zu halten, müssen die Mitarbeiter immer mehr Zeit für das "Fundraising" investieren und im Erfolgsfall noch mehr Zeit für die Verwaltung der eingeworbenen Gelder. Da solche Aufgaben dann gerade den neuberufenen Juniorprofessoren - noch ein Amerikanismus, der durch die Übersetzung viel von seiner Bedeutung verloren hat - übertragen werden, haben diese jüngeren Kollegen weniger Zeit für die Forschung. An den besseren amerikanischen Universitäten werden gerade die jüngeren Mitarbeiter für die Forschung freigestellt, damit sie ihre Festanstellung vorantreiben können. Selbstverständlich spielt dabei auch ihre Fähigkeit zur effizienten Lehre eine Rolle.

Die Jagd nach den Drittmitteln führt zu einer weiteren inflationären Spirale. Anders als in den USA, werden in Deutschland enorme Energien und Geldmengen in Kolloquien investiert, deren Hauptzweck darin zu bestehen scheint, neue Mittel zu beschaffen, um damit die nächste Runde von Kolloquien finanzieren zu können. Manche dieser Treffen bringen nützliche Ergebnisse, aber die meisten eben nicht. Solche Versammlungen sollen das "Networking" fördern, heißt es, als wäre dies an sich schon ein erstrebenswertes Ziel.

Zwar ist dieser Begriff von deutschen Akademikern begeistert adaptiert worden, im Englischen hat er aber durchaus negative Konnotationen, die an das wechselseitige Zuschanzen von Gefälligkeiten denken lassen. Die Endlosschleife von Kolloquien, auf denen alle reden, aber kaum einer zuhört, lädt wiederum ein zur Jagd auf die nächste, die neueste, die aktuellste Methode, oder besser auf das, was wiederum mit einem englischen Begriff als "turn" bezeichnet wird. Diese "turns" kommen inzwischen so zahlreich und so schnell, dass einem der Kopf schwirrt, dass man zumindest das Gefühl bekommt, man drehe sich im Kreise. Die Deutsche Forschungsgemeinschaft und Einrichtungen wie die Gerda-Henkel-Stiftung, die genau diese Spirale unterstützen und Heerscharen von Akademikern auf einen Dauertrip von einem Hörsaal zum nächsten schicken (gerne auch in südlichen, sonnigeren Gefilden), sollten erwägen, ob die für solche Zwecke verteilte massive Unterstützung, auf die viele amerikanische Akademiker nur neidisch sein können (besonders, wenn dadurch wissenschaftliche Wälzer zustande kommen, die aus Gründen des verlegerischen Kommerzes niemals das Licht der Welt erblickt hätten, wäre ihre Drucklegung nicht mit öffentlichen Geldern bezahlt worden), nicht besser für dauerhafte Infrastrukturmaßnahmen und für die Einrichtung oder Unterstützung zusätzlicher, abgesicherter Mitarbeiterstellen verwendet werden könnte. Das könnte unter anderem dazu beitragen, die schreckenerregenden Zahlenverhältnisse von Dozenten und Studenten zu verbessern, die an den meisten amerikanischen Universitäten einfach nicht geduldet würden. In den USA gibt es kaum Seminare mit mehr als 12 bis 15 Studierenden. In Deutschland umfasst manche Teilnehmerliste hunderte von Namen, und die Kommilitonen müssen oftmals ihre Studienzeit nur deshalb um mehrere Semester verlängern, weil sie schon in den Pflichtveranstaltungen für Anfänger keinen Platz gefunden haben.

Zweifellos müssen die deutschen Universitäten reformiert werden - die amerikanischen übrigens ebenso. Aber machen wir uns nichts vor. Was wir brauchen, ist weniger Rauch, mehr Feuer - und mehr Geld.

Über den Autor

Der Kunsthistoriker Jeffrey Hamburger ist der Kuno Francke Professor für Deutsche Kunst und Kultur an der Harvard Universität. Er war Stipendiat der Humboldt-Stiftung und ist Mitglied des Beirats der deutschen Handschriftenzentren. (Der Artikel wurde von Falk Eisermann übersetzt )

Aus Forschung & Lehre :: Juni 2008


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Erschienen in

Forschung & Lehre - September 2008


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